Der Sprachbaum
Der Sprachbaum verdeutlicht, dass sich die Sprache des Kindes (Baumkrone mit ihren drei Bereichen: Artikulation, Wortschatz und Grammatik) nur dann entwickeln kann, wenn grundlegende Fähigkeiten angemessen ausgebildet sind (die Wurzeln: z.B. Sehen, Hören, Motorik usw.)
Sprachfördernder Unterricht baut nach ausführlicher Diagnostik dort auf, wo der konkrete Förderbedarf des Kindes beginnt.
Alles auf Anfang
Es ist immer wieder beeindruckend, wie schnell und scheinbar mühelos Kinder sprechen lernen. Für Eltern bedeutet es oft einen bemerkenswerten Einschnitt in der Entwicklung ihrer Kinder, wenn diese ihr „erstes Wort“ sprechen. Die Fähigkeit, Wörter zu äußern, ist bereits das Ergebnis eines langen Lernprozesses.
Sprechen lernen ist nicht die Leistung eines Kindes allein, sondern der Spracherwerb ist ein Prozess, an dem die Eltern einen ebenso wichtigen Anteil haben wie das Kind selbst: Denn Sprechen lernt das Kind über das Hören und Nachsprechen von Sprachvorbildern. Die Beziehung zwischen Kind und Eltern hat ihren Anfang in der Befriedigung der lebenswichtigen Grundbedürfnisse des Säuglings, der über angeborene Verhaltensweisen (Schreien, Saugen, Hören, Lächeln, Schauen, Bewegen) verfügt. Mit deren Hilfe teilt er dem Erwachsenen seine Ansprüche mit.
Der Erwachsene reagiert in einer ganz bestimmten Weise und tritt von Anfang an in einen Dialog mit dem Säugling. In den vielen gemeinsamen Anfangssituationen wie z.B. Füttern und Baden spricht die Mutter. Das Kind beginnt, zusammen mit der Handlung, Sprache zu verstehen und zu erlernen. Die Erwachsenen helfen dem Kind, in dem sie in vertrauten Situationen durch ihr sprachliches Vorbild auf Personen, Objekte usw. hinweisen. Aber selbst wenn ein Wort scheinbare Selbständigkeit erhalten hat, bezeichnet es weiterhin noch nicht den Gegenstand, sondern irgend ein Merkmal desselben.
Dies ist der Fall, wenn z.B. ein Kind zu einer Apfelsine “Ball” sagt. Es hat das typische Merkmal “Ein Ball ist rund” auf den neuen Gegenstand, die Apfelsine, übertragen.
Diese Fähigkeit des Kindes, Gelerntes auf Neues zu übertragen, zeigt, dass es nicht nur durch Vorsprechen und Nachsprechen lernt, sondern dass es über angeborene Fähigkeiten verfügt, aus den Angeboten seiner sprachlichen Umgebung gleichbleibende Formen zu erkennen, aufzunehmen, zu isolieren und sie zu Regeln zu verbinden. Das Kind entnimmt also der Sprache, die es hört, nicht nur einzelne Äußerungen, sondern auch bestimmte Regeln, die es anschließend auf ähnliche Fälle überträgt.
So entstehen von der Erwachsenensprache abweichende, aber regelgeleitete Formen wie z.B. “Ich bin gespringt”. Nicht selten erfindet es eigenwillige Wörter, Wortschöpfungen, die Erwachsene nicht gebrauchen. Das Kind äußert sich zunächst noch „unkorrekt“, erwirbt aber durch Selbstkorrektur im Dialog allmählich die Fähigkeit, so wie Erwachsene zu sprechen. Der Spracherwerb ist also ein individueller Prozess, der zwar bei jedem Menschen anders verläuft, der aber bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Bevor die Kinder so sprechen und schreiben wie Erwachsene, durchlaufen sie Vor- und Zwischenstufen. Hieraus ergibt sich die Konsequenz, dass kindliche Äußerungen, die aus der Sicht der Erwachsenen falsch sind, nicht zwangsläufig verbessert werden müssen.
Diese Äußerungen stellen in der Regel entwicklungsbedingte Durchgangsstufen dar, die Aufschluss über den Entwicklungsstand von Kindern geben.
Die ersten Wörter des Kindes drücken im Unterschied zum Lallen oder Weinen keinen Zustand aus, sondern sind immer unmittelbar mit den Handlungen verbunden.
Wenn z.B. ein Kind mit einem Pferdchen spielt und “brr” sagt, so kann dies sowohl “Pferd”, “Schlitten”, “fahr los” oder “halt” bedeuten, je nachdem, in welcher Situation und mit welcher Betonung es ausgesprochen wird. Auch wenn das Kind einen Gegenstand meint, bleibt das Wort doch untrennbar verbunden mit einer konkreten Handlung. Handeln bedeutet für das Kind Erleben! Sprachgebrauch ist immer eng verknüpft mit Erlebnissen. Durch die Zunahme an Wörtern und durch den Erwerb der anderen sprachlichen Fähigkeiten (Aussprache und Grammatik) lernt das Kind anschließend, das Wort aus dem Handlungszusammenhang herauszulösen und als selbständiges Zeichen zu benutzen.